Psychisch belastete Lernende

Das Gesundheitsdepartement Basel-Stadt hat gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum WorkMed der Psychiatrie Baselland und in Zusammenarbeit mit dem Bereich Mittelschulen und Berufsbildung BS, dem Gewerbe- und Arbeitgeberverband sowie der Stiftung Rheinleben im Frühjahr 2021 Berufsbildnerinnen und Berufsbildner der Deutschschweiz zum Thema «psychische auffällige Lernende im Betrieb» befragt. Die Resultate liegen nun vor und zeigen, dass psychische Auffälligkeiten bei Lernenden häufig sind. Das Engagement von Berufsbildnerinnen und Berufsbildnern ist hoch. Gleichzeitig fällt auf, dass der Kontakt zu Externen eher selten gesucht wird. Die Resultate sollen nun dazu beitragen, wie Berufsbildnerinnen und Berufsbildner bei psychischen Auffälligkeiten von Lernenden früher und gezielter intervenieren können, um problematischen Entwicklungen in der Lehre entgegenzuwirken.

Zusammenfassung

Probleme in der Lehre gehören dazu und viele Junge wachsen daran – aber nicht alle
Probleme in der Lehre sind sehr häufig (rund 60%). Diese sollten nicht dramatisiert werden, auch lässt sich anhand der Daten nicht feststellen, ob es sich um eine psychische Störung handelt. Sie sollten aber auch nicht bagatellisiert werden: Gegen die Hälfte der Lernenden mit Problemen ist in Behandlung. Gleichzeitig bleiben Lehrabbrüche selten. Insgesamt gelingt es einem Drittel, die Probleme zu lösen. Das Engagement lohnt sich jedoch hinsichtlich der Entwicklung von Jugendlichen, da sie lernen, mit Herausforderungen umzugehen. Die Frage, wie und ob die 25% der jungen Erwachsenen mit Problemen in der Lehre, die bis zum Schluss nicht gelöst werden konnten, den Einstieg ins Berufsleben nachhaltig schaffen, bleibt hingegen offen.

Gute Freunde, Aktivität, unterstützende Eltern sowie Disziplin und Freundlichkeit
Jugendliche profitieren von einem supportiven Umfeld, das Orientierung gibt und ihnen auch etwas zutraut. Zudem haben gute Freunde und eine aktive Freizeit einen positiven Einfluss auf den Lehrverlauf und können als weitere Resilienzfaktoren angesehen werden. Ausserdem haben Jugendliche, welche sich an Regeln halten können, pünktlich sind und sich ins Team integrieren, eine grosse Chance für einen unproblematischen Lehrverlauf.

Belastende Familienverhältnisse, Sucht, mangelnde Grundfertigkeiten machen es schwer
Lernende, die psychosozial belastet sind, wenig Unterstützung durch die Familie erfahren und in einem schädlichen Masse Alkohol trinken oder kiffen, haben ein höheres Risiko für Probleme in der Lehre. Je mehr Funktionseinschränkungen Lernende aufweisen, desto höher ist das Risiko für einen schwierigen Verlauf in der Lehre. Einen besonders grossen Einfluss haben Defizite im zwischenmenschlichen Bereich. Defizite sind oft schon während der Schulzeit bekannt, die Informationen fliessen jedoch nicht weiter, was zwar einen 'Neustart' in der Lehre ermöglicht, eine gezielte Unterstützung von Beginn weg jedoch verhindert.

Männliche Lernende haben mehr Einschränkungen aber weniger Versagensängste
Männliche und weibliche Jugendliche unterscheiden sich deutlich bei den Funktionseinschrän-kungen und im Umgang mit diesen. Männliche Jugendliche zeigen fast überall stärkere Defizite aus Sicht der Berufsbildnerinnen und Berufsbildner, sind eher passiv und konsumieren tendenziell öfter in einem schädlichen Mass Suchtmittel (Alkohol/Cannabis). Zudem sind sie seltener in psychotherapeutischer Behandlung. Weibliche Lernende zeigen lediglich stärkere Defizite im Durchsetzungsvermögen ('nein' sagen, sich wehren), im Selbstvertrauen (grosse Angst, Fehler zu machen) und in der Stimmung (häufigere Stimmungsschwankungen). Dies weist darauf hin, dass bei der gezielten Begleitung/Förderung der Lernenden sinnvollerweise auch geschlechtstypische Merkmale beachtet werden sollten.

Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sind kompetent aber bei psychischen Problemen unsicher
Berufsbildnerinnen und Berufsbildner fühlen sich in vielen Bereichen ihrer Tätigkeit sicher, in Bezug auf psychische Themen fühlen sie sich jedoch oft unsicher. Auch im Kontakt mit Dritten, also anderen Personen im System ist Unsicherheit vorherrschend. Allgemein scheint im System wenig Austausch stattzufinden, wobei Berufsbildnerinnen und Berufsbildner mit zunehmender Berufserfahrung und kleinere bis mittlere Unternehmen eher an der Zusammenarbeit mit Dritten interessiert sind.

Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sind engagiert, ziehen aber kaum professionelle Unterstützung bei
Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sind oft sehr engagiert und bieten viel Unterstützung. Gleichzeitig wird jedoch bei Schwierigkeiten häufig zu lange gewartet. Berufsbildnerinnen und Berufsbildner wollen den Lernenden eine Chance auf einen Neustart geben – es verstreicht vielfach wertvolle Zeit für eine gezielte Unterstützung, wodurch die Schwierigkeiten tendenziell zunehmen.

Niemand fühlt sich zuständig, die Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in solchen Situationen zu unterstützen
Generell zeigt sich, dass Hilfsangebote für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner wenig bekannt sind respektive genutzt werden und Zuständigkeiten weitgehend unklar sind. Spezialisierte Stellen wie psychiatrische Dienste oder die IV-Stelle werden (sehr) selten kontaktiert und sehen sich auch nicht primär in der Verantwortung. Es bestehen Hemmungen, Lernende vorschnell oder unnötig zu pathologisieren. Dies führt dazu, dass Berufsbildnerinnen und Berufsbildner alleingelassen werden und bei jungen Menschen ggf. Chancen verpasst werden, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen und die psychische Problematik früh und gezielt anzugehen.

Befragung von Berufsbildnerinnen und Berufsbildner in der Deutschschweiz zum «Umgang mit psychisch belasteten Lernenden»